Seit fast 70 Jahren werden Biologika und Impfstoffe in tierischen und menschlichen Zellsubstraten hergestellt. Dies begann 1954, als ein experimenteller Adenovirus-Impfstoff in menschlichen Tumorzellen (Hela-Zellen) entwickelt wurde. Damals gab es noch kein umfassendes Wissen über die Sicherheitsaspekte der verschiedenen verwendeten Zelltypen, das in den folgenden Jahren durch die Differenzierung von „normalen Zellen“ aus primären Zellkulturen (PCC) und menschlichen diploiden Zellen (HDCL/ DCL), kontinuierlichen Zelllinien (CCL) und anderen „neuartigen Zellsubstraten“1,2,3 erweitert wurde.
Die Anforderungen an die Entwicklung eines Poliomyelitis-Impfstoffs waren ab 1965 verfügbar, nachdem das ehemalige Papovavirus SV40 (Simian Virus 40) (jetzt: Polyomavirus Macaca mulatta polyomavirus 14) in Virusernten, die auf Affennierengewebe, insbesondere von Rhesusaffen, gezüchtet wurden, nachgewiesen wurde. Daraufhin wurden Maßnahmen zur Eliminierung dieses Erregers ergriffen, und zwar sowohl durch Empfehlungen, dass nur Affen, die bekanntermaßen frei von SV40 sind, für die Produktion verwendet werden dürfen, als auch durch die Einführung von Tests zum Nachweis dieses Virus5,6.
WHO übernimmt führende Rolle bei Sicherheit von Zellsubstraten.
Seitdem wissen wir um die Problematik der zufälligen Erreger, die bei dem/den verwendeten Zellsubstrat(en) berücksichtigt und getestet werden müssen.
Ab 1986 übernahm die WHO-Studiengruppe für Zellsubstrate eine führende Rolle bei der Auseinandersetzung mit der biologischen Sicherheit und den Sicherheitsrisiken von Zellsubstraten bei der Verwendung von Biologika in der Entwicklung, während in den Jahren 2006 bis 2010 die wissensbasierten Leitlinien/Rechtsvorschriften der USA, der FDA, der WHO und der EU „explodiert“ sind7-19.
Damals versuchten Hess et al. (2012)20, ein wenig Licht in die Fragen der biologischen Sicherheit und der regulatorischen Anforderungen an die verschiedenen tierischen, neuartigen oder vom Menschen stammenden Zellsubstrate zu bringen, die für die Herstellung biologischer Produkte verwendet werden und mit denen die Hersteller konfrontiert sind. Sie schlugen – zum ersten Mal – eine umfassende, willkürliche Klassifizierung für das geschätzte Risiko von Zellsubstraten bei der Herstellung von Humanimpfstoffen vor, die den Zellursprung, zufällige Erreger, endogene Viren, den Zellkaryotyp, die Wachstumskapazität, den Mechanismus der Transformation, die Tumorigenität und die Onkogenität berücksichtigt.
Diese wissenschaftliche Übersicht veranschaulicht die verschiedenen regulatorischen Hürden, die bei der gründlichen Bewertung/Testung/Aufarbeitung und Überwindung der potenziellen Biosicherheits- und Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit der Verwendung verschiedener Zellsubstrate nicht nur für Impfstoffe, sondern auch für die Herstellung von mAbs („monoclonal antibodies“) zu überwinden sind.
Virale Lebendimpfstoffe als größtes Sicherheitsrisiko.
Abgeschwächte virale Lebendimpfstoffe stellen zweifellos die größten Herausforderungen in Bezug auf die biologische Sicherheit dar, da strenge nachgeschaltete Reinigungsmethoden keine Option sind, da sie die Integrität des viralen Lebendimpfstoffs gefährden würden21. In jedem Fall muss das tumorigene und auch onkogene Potenzial, das den verschiedenen verwendeten Zellsubstraten inhärent sein kann, ausgiebig getestet werden.
Heute werden vor allem die am umfassendsten charakterisierten CHO-Zellsubstrate, die Chinese Hamster Ovary-Zellen, für die Entwicklung von Biologika und die Herstellung therapeutischer monoklonaler Antikörper für den Menschen verwendet, während die „regulatorische Akzeptanz“ anderer Zellsubstrate als CHO-Zellen für die Entwicklung von Biologika und mAbs („monoclonal antibodies“) entscheidend ist22.
Erinnert man sich an die dringend notwendigen, aber (aus gutem Grund) fast nicht enden wollenden Sicherheitsdiskussionen der FDA und der WHO über die so genannten „neuartigen Zellsubstrate“ (z. B. PER-C6, eine menschliche embryonale Netzhautzelle, die durch Transfektion mit dem Adenovirus Typ 5 E1 immortalisiert wurde), so wird den Regulierungsbehörden bei der Verwendung neuartiger Zellsubstrate, insbesondere bei solchen, die den Regulierungsbehörden bisher unbekannt waren, die rote Flagge hissen. Die WHO hat vor kurzem ein erstes DRAFT-Dokument herausgegeben, um Kommentare und Anregungen zu den darin enthaltenen Vorschlägen einzuholen, die dann vom Expertenausschuss für biologische Normung (ECBS) geprüft werden, da darum gebeten wurde, zusätzliche Klarheit und mehr Details zu den spezifischen Leitlinien für mAbs zu schaffen, die aus pflanzlichen Systemen hergestellt werden.23.
Molekulares Pflanzenpharming.
MAbs können in kultivierten Säugetierzellen wie CHO-, SP2/0- oder NSO-Zellen, menschlichen Zelllinien wie PER-C6 oder HEK sowie in Bakterienzellen, Hefen, Pilzen, Pflanzen oder kultivierten Pflanzenzellen hergestellt werden. Das Präparat kann aus Zellen oder Pflanzen gewonnen werden, die nur mAb-Fragmente oder genetisch veränderte mAbs produzieren. Nach der Aufreinigung können die mAbs oder mAb-Fragmente weiter modifiziert werden, um ihr pharmakokinetisches und/oder pharmakodynamisches Profil zu verändern. Die mikrobiologischen Risiken von aus Pflanzen gewonnenen Substraten können sich erheblich von denen der aus Tieren gewonnenen Reagenzien unterscheiden, und es können weitere Gefahren auftreten, wie immunogene, mitogene und allergene Eigenschaften des Reagenzes und seiner Bestandteile. Aus Pflanzen gewonnenes Material kann beispielsweise ein erhöhtes Risiko einer Kontamination mit Mykoplasmen und Mykobakterien bergen24.
In den letzten Jahren wurden Fortschritte bei der Nutzung von Pflanzen als Expressionssystem zur Herstellung von Biologika und Impfstoffen, einschließlich rekombinanter therapeutischer Proteine, erzielt, was als Plant Molecular Farming (PMF) bezeichnet wird. Die rekombinanten Proteine, einschließlich mAbs, können in Pflanzen durch stabile Expression, transiente Expression und transgene Pflanzenzell-Expression in Pflanzenzellen hergestellt werden. Pflanzen können posttranslationale Modifikationen durchführen, die denen von menschlichen und Säugetierzellen ähnlich sind, was jedoch zu einem anderen Glykosylierungsmuster führt als bei Substraten aus tierischen oder menschlichen Zellen. Der Unterschied in den Glykosylierungsmustern von aus Pflanzen gewonnenen Proteinen kann jedoch durch Glyco-Engineering in Pflanzen überwunden werden, um humanisierte Proteine zu erhalten25.
Entwicklung von Biologika mittels pflanzlicher Zellsubstrate birgt großes Potenzial.
Angesichts der aktuellen Coronavirus-Pandemie könnte die Entwicklung von pflanzlichen Impfstoffkandidaten und Biologika gegen neu auftretende Coronavirus-Infektionen eine Plattform mit großem Potenzial darstellen, die von Shanmugaraj et al. 202126 untersucht wurde. Keines der gemeldeten Produkte/Impfstoffe im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 wurde bisher für den Markt zugelassen; sie befinden sich derzeit entweder in der Forschung oder in präklinischen Phasen und/oder in klinischen Studien der Phase I/II. Meher Un Nessa et al., 202027 stellen insgesamt 53 Forschungsartikel vor, in denen über die Wirkung von in Pflanzen hergestellten monoklonalen Antikörpern als Immuntherapie gegen Krebs berichtet wird, wobei 200 Phase 1, 110 Phase 2 und 33 späte klinische Phasen der Antikörperentwicklung dargestellt werden. Zu den zahlreichen Pflanzenarten, die für die Produktion von mAb geeignet sind, gehören Nicotiana benthamiana, Nicotiana tabacum, Arabidopsis thaliana und andere, wobei die höchste Biomasseausbeute bei Tabakarten festgestellt wurde. Tabak ist ein Nicht-Lebensmittel-, Nicht-Futtermittel- und gut spezifiziertes Expressionssystem, bei dem eine Kontamination mit menschlichen Krankheitserregern ausgeschlossen ist, was Bedenken hinsichtlich der biologischen Sicherheit verringern kann28.
Die Coronavirus-Pandemie und die steigende weltweite Nachfrage nach Impfstoffen erfordern hohe Kapazitäten für die Impfstoffherstellung. Eine bessere Nutzung der derzeit verwendeten Zellsubstrate, aber auch die Einführung neuartiger Zellsubstrate kann zu einer höheren Ausbeute an Impfstoffen führen und so dazu beitragen, die Produktionsziele zu erreichen und die weltweite Versorgung sicherzustellen. Verschiedene Impfstofftypen, vor allem Impfstoffe mit abgeschwächten Lebendviren, die in Zellsubstraten hergestellt werden, erfordern eine umfassende Charakterisierung der Zellsubstrate im Hinblick auf Identität, Stabilität, Reinheit, zufällige Erreger/Viren, Tumorigenität und Onkogenität.
Es mangelt immer noch an einer Standardisierung und Harmonisierung der verschiedenen Leitfäden auf der ganzen Welt, obwohl die einschlägigen Leitfäden ständig überarbeitet werden, um die neuesten und modernsten Technologien zu repräsentieren, die auch das auf historischen Daten beruhende Wissen widerspiegeln. Die fehlende Harmonisierung stellt eine Herausforderung für Biologika und mAbs dar, aber auch für Impfstoffhersteller, die weltweit liefern wollen, um eine Zulassung für diese zellbasierten Impfstoffe zu erhalten.
Die Frage ist: Würden aus Pflanzen gewonnene Biologika/Impfstoffe und/oder die Produktion monoklonaler Antikörper den Aufwand für eine gründliche Charakterisierung der Zellsubstrate erleichtern oder verringern und die Wissensbasis beschleunigen, was zu einer schnelleren Akzeptanz dieser aus Pflanzen gewonnenen Biologika durch die Behörden führen würde – ODER – öffnen wir „ein Wespennest“ (mikrobiologische, zufällige Erreger, immunogene, tumorigene, onkogene, mitogene, allergene Eigenschaften)? Wir werden sehen!
Das Expertenkomitee für biologische Standardisierung (ECBS) der WHO hat jedenfalls damit begonnen, Leitlinien für mAbs zu erstellen, die aus gentechnisch veränderten transgenen Pflanzen hergestellt wurden, und bittet die Öffentlichkeit um Konsultationen und Beiträge zu ihren Leitlinien.
Ich denke, dies ist ein guter erster Schritt in die richtige Richtung.
Literatur.
- WHO Technical Report Series No. 978, 2013: Annex 3, Recommendations for the evaluation of animal cell cultures as substrates for the manufacture of biological medicinal products and for the characterization of cell banks. Replacement of Annex 1 of WHO Technical Report Series, No. 878, 22 May 2013.
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- Hess RD, Weber F, Watson K, Schmitt S, 2012: Regulatory, biosafety and safety challenges for novel cells as substrates for human vaccines. Vaccine 30 (2012) 2715– 2727 (a)
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for human use. - European Pharmacopoeia (EP) 2.6.16. Tests for extraneous agents in viral vaccines for human use.
- Op cit. 3.
- Ibid
- Hess RD 2012: Regulatory, biosafety and safety challenges for novel cells as substrates for human vaccines. 6th Vaccine & ISV Congress Shanghai, China, 15, Oct 2012. (b)
- WHO/MAB/DRAFT/12 October 2021. WHO Guideline for the safe production and quality control of monoclonal antibodies for use in humans. mabs-manufacture-guideline-draft-for-1st-public-comment.pdf (who.int) , accessed 3 JAN 2022.
- Shanmugaraj B, Siriwattananon K, Malla, A, Phoolcharoen W, 2021. Potential for Developing Plant-Derived Candidate Vaccines and Biologics against Emerging Coronavirus Infections. Pathogens 2021, 10, 1051. https://doi.org/10.3390/pathogens10081051, accessed 3 JAN 2022.
- Op cit. 24.
- Ibid
- Meher Un Nessa, Md Atiar Rahman, Yearul Kabir, 2021. Plant-Produced Monoclonal Antibody as Immunotherapy for Cancer. Hindawi BioMed Research International Volume 2020, Article ID 3038564, 10 pages, https://doi.org/10.1155/2020/3038564, accessed 3 JAN 2022.